Auf Lia Rienzis Einladung zur Blogparade – #Wut ausdrücken und annehmen, habe ich diesen Blog geschrieben.

Mit Wut im Bauch, in den Gedanken, im ganzen Körper lässt es sich schnell gehen. Sehr schnell! Und ich rase an diesem Morgen – nicht nur innerlich.

Es rast mich!!

Ich bin kurz davor zu platzen, ich sehe alles rot, ich habe Mordsgelüste! Mein Gesichtsfeld ist verengt, ich habe einen Tunnel vor mir und ich nehme rechts und links von mir nichts mehr wahr.
Und während ich unfassbar wütend bin, bin ich gleichzeitig froh, dass ich meine Wut an den Boden abgeben kann. Dankbar, dass das schnelle Gehen eine Distanz schafft zwischen meinem “eigentlichen Ich” und der mich wütend machenenden Situation. Sowohl räumlich, zeitlich als auch gedanklich. Nach vier Kilometern fällt es mir leichter mit Abstand auf die Situation zu schauen, die mich HB-Männchen-mäßig ausflippen ließ. Mittlerweile bin ich der Emotion Wut nicht mehr so stark ausgeliefert.

“Der Emotion?”

fragst Du. Ja, wenn Dich die Wut länger als fünf Minuten
– festhält,
– beherrscht,
– fesselt,
– einengt,
– Dich keinen Ausweg erkennen lässt,
kannst Du getrost davon ausgehen, dass hier Unerledigtes aus Deiner Vergangenheit anklopft. Meist erinnerst Du Dich an Ohnmacht weil Du missachtet wurdest, Prügel bekamst, herabgewürdigt, abgewertet oder nicht gehört wurdest. Es gibt sie bei jedem Mensch, diese Situationen, in denen Du zu Recht wütend warst, aber das Gefühl unterdrücken musstest, um zu überleben. Und diese Dynamik lebt noch in Dir weiter. Da genügt ein kleiner Trigger – und Du rastest total aus. Zum Teil völlig übertrieben und ohne Kontrolle.

“Ja, und jetzt?”

Ein Weg um aus dieser Emotionsfalle rauszukommen ist das bewusste Spüren von Wut.
In einem geschützten Rahmen steigst Du in einen Prozesse von

Die.Wut.Bewusst.Größer.Werden.Lassen

ein. Hört sich komisch an, funktioniert aber! Zuerst lässt Du sie absichtlich und verantwortlich größer werden. Dadurch erinnert sich dein Körper und nicht Dein Verstand an diese Triggersituationen, in denen Du Deine Wut nicht ausdrücken konntest. Mit dieser im Hier und Jetzt gewonnenen Information über die damalige Situation kannst Du augenblicklich und entschieden nachholen, was Dir damals versagt blieb oder nicht möglich war. Weil Du Dich nicht mehr wehrlos und ausgeliefert fühlst, kannst Du jetzt eine Grenze setzen oder jemandem stellvertretend sagen, was Dich damals so verletzte. Das tust Du, weil Du die sie bewusst und verantwortlich fühlst und Dich ihrer Energie und Kraft bemächtigst. Du schreibst quasi Deine Geschichte neu und erledigst die Dinge, die Du schon lange erledigen willst.
So startest Du einen emotionalen Heilungsprozess.

Oh…und wie war das jetzt mit den Gefühlen?

Ja, es gibt einen Unterschied zwischen Emotionen und Gefühlen. Emotionen sind, wie oben erwähnt, unerledigte Dinge aus der Vergangenheit. Und sie bleiben in Deiner Wahrnehmung lange präsent, wenn sie man sie bei Dir angetriggert.
Du identifizierst Dich mit den Emotionen und sagst:

– ich bin wütend, ich bin ängstlich, ich bin traurig, ich bin froh.

Im Gegensatz dazu sind die Gefühle im Hier und Jetzt. Sie poppen situationsbedingt auf und helfen uns, das, was die Situation verlangt, angemessen zu erledigen. Wenn die Situation geklärt und erledigt ist, verschwinden sie und wir sind im Frieden mit der Situation.

Soweit die Theorie. Die Realität sieht anders aus. Wir haben in unserer Erziehung keinen angemessenen Umgang mit unseren Gefühlen gelernt. Wir haben nicht gelernt zu fühlen und sind nicht trainiert, mit unseren Gefühlen umzugehen. Die Konsequenz davon ist, dass wir als Erwachsene immer noch unsere Gefühle unterdrücken.

Wir lehnen sie ab!

Warum, weil es nirgendwo angemessen erscheint, seine Gefühle auszuleben.
Außer im Fußballstadion.
In unserer Durchschnitts-Erziehungs-Kultur gilt der Leitsatz: Fühle nicht! Denn:

No Fear! – Du darfst keine Angst haben. –
Wie unzivilisiert! – Du darfst nicht wütend sein! 
Ein Indianer kennt keinen Schmerz! – Du darfst nicht traurig sein.
Sollen wir Dich einliefern lassen? – Du darfst keine Freude haben!

Das Resultat daraus ist, dass wir unsere Empfindsamkeit, unsere Sensibilität, unsere Kapazität und unser Vermögen zu fühlen immer weiter verlieren. Wir haben Angst vor unseren Gefühlen. Wir betäuben uns mit Shoppen, Facebook, News, Schokolade, Alkohol, Sex und so weiter.
Wenn trotz der ganzen Betäubung ein Gefühl wie das der Wut in unser bewussten Erleben durchdringt, ist es zu spät. Sie ist dann schon so stark angeschwollen, dass wir ausrasten oder völlig ausflippen. Dann hat sie uns und nicht wir die Wut. Wir sind hilflos und nicht in der Lage, kontrolliert mit ihr umzugehen.

In einem der nächsten Artikel beschreibe ich,

wie die Praxis der Achtsamkeit eine Lücke zwischen mir und der Wut öffnet und ich der Wut nicht mehr hilflos ausgeliefert bin.

Danke für dein Interesse, deine Kommentare und herzliche Grüße

Joachim