Achtsamkeit und Nicht-Wissen
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Als ich 1999 auf Pilgerwanderung von Berlin nach Trier unterwegs war, gab es drei Grundsätze des Zen-Peace-Maker-Ordens:
Nicht wissen,
Zeugnis ablegen,
Sich selbst und andere heilen.
Diese aktuelle Zeit erinnert mich an den ersten Grundsatz, Nicht-Wissen, über den ich hier schreibe. Besonders werde ich auf die Bedeutung von Nicht-Wissen in der Coronakrise eingehen.
Am Anfang der Krise fand ich es extrem unsexy, nicht zu wissen, wem und wessen Zahlen ich glauben sollte. Die Such(t)e nach Infos, Daten, Fakten war immens. Ich war hin und her gerissen zwischen den beiden Polen Drostenfraktion und Verschwörungsanhänger.
Um mich gut und sicher zu fühlen wünschte ich mir Klarheit und Sicherheit im Wissen. Orientierung bitte! Und zwar sofort.
Eins ist klar: Ich kenne die Wahrheit bis jetzt nicht.
Was mir hier wieder sehr deutlich wurde ist, dass wir ein extremes Bedürfnis nach Fakten haben. Fakten, die uns von außen verabreicht werden durch sogenannte Experten. Und je nachdem, wie die innere Landschaft unseres Informationshungers gestaltet wurde, sprich auf welche Infos wir besonders anspringen, ordnen wir uns diesem oder jenem Lager zu.
Meine Beobachtung ist, dass unser (Erziehungs)-System und unsere Kultur in keiner Weise die Idee des Nicht-Wissens als eine Möglichkeit des Seins anerkennt. Die vermeintliche Begründung dafür liegt auf der Hand: Wir sind in diesem Zustand orientierungslos, verunsichert und haltlos. Das sind zum einem keine gesellschaftlich anerkannte Seins-Zustände und zum anderen sind wir daran kein bisschen gewöhnt.
Folglich haben wir selbst nicht so richtig Bock darauf.
Ein weiterer Aspekt in der Betrachtung von Nicht-Wissen ist, das Nicht-Wissen in unserem Erziehungssystem keine Option für Lernen darstellt. Lernen muss in einer auf Noten ausgerichteten Kultur schnell geschehen. Nicht-Wissen dagegen muss sich entfalten können, um als Lernprozess nachhaltig zu sein.
Wir sind es gewohnt, dass die Systeme um uns herum funktionieren. Tun sie dies nicht, reagieren wir anders. Dieses Anders äußert sich dann zum Teil in leeren Toilettenpapierregalen.
So ist es also auch nicht verwunderlich, dass wir überhaupt nicht auf die Idee kommen, dass wir uns auch in den Zustand des Nicht-Wissens begeben können. Dass wir bewusste Unsicherheit und Orientierungslosigkeit als NORMALE und die KREATIVITÄT fördernde Aggregatszustände unseres Lebens begreifen können.
So war es damals auf meiner Pilgerwanderung. Ich bin aus meinem gewohnten System der Kontrolle katapultiert worden. In einen Raum des Nicht-Wissens. Ich fühlte mich allein, unsicher und fremd. Und ja, es erfordert ein Stück weit Mut und Vertrauen sich in die Unwissenheit hineinzubegeben. Der Unterschied war lediglich, dass diese Unsicherheit willkommen war. Und dass ich wusste, dass ich nicht allein damit war. Der Kontext war offen dafür.
Was dann begann, war die folgenreichste Transformationsreise meines Lebens. Meiner gewohnten Fluchtmechanismen beraubt und hineingestoßen in eine Welt voller Unordnung, Chaos und Unvorhersagbarkeit, begann ich meine Umwelt und mich in einem anderen Licht wahrzunehmen. Ich nahm die Einladung an meine Denkmuster zu hinterfragen und nach und nach abzulegen. Erfahrungen, die ich machte, konnte ich in einem völlig anderem Kontext sehen. Dieser Reise war wie eine Häutung, wie ein Neugeboren-werden durch das Ablegen eines antrainierten Panzers aus Gewohnheiten, Süchten, Meinungen und Glaubenssätzen.
Was hat das jetzt mit Corona zu tun?
Wie reagieren wir, wenn wir aus unserer Normalität herauskatapultiert werden?
Wie mental flexibel sind wir?
Können wir verzichten?
Anerkennen wir, dass wir und unsere Systeme fragil sind?
Wie verbunden sind wir mit unserer Mitwelt?
Lernen wir aus der Krise oder kehren wir wieder ins alte Normal zurück?