Achtsamkeit & Absichtslosigkeit

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Am Ende jeden Jahres begegnen uns von wo auch immer die sogenannten guten Vorsätze. Neulich beim Spaziergehen überlegte ich, welche guten Vorsätze ich für 2021 fassen will. Und während ich über Vorsätze und vorsätzlich und welchen Wortursprung Vorsatz hat nachdachte, nämlich etwas mit Absicht zu tun, kam ich auf den Begriff der Absichtslosigkeit.

„Absichtslos widmen wir uns allen Wesen.“

Diesen Satz rezitieren wir nach dem Ende jeder Mahlzeit auf einem Sesshin oder auch bei meinen Wander- & Achtsamkeits-Retreats.

Was hat es mit Absichtslosigkeit auf sich?
Warum sollen wir uns absichtslos allen Wesen widmen?
Könnten wir uns allen Wesen auch vorsätzlich widmen?
Was würde dies für einen Unterschied machen?

Wenn wir etwas mit Vorsatz tun, verknüpfen wir das meist mit einem gewünschten Ergebnis, einem angestrebten Ziel. Wir möchten etwas erreichen. Mehr Muskeln, weniger Kilos auf der Waage, mehr Sport, netter zu den Kindern, mehr auf sich selbst achten…
Am besten spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und mit einem Enddatum versehen, also terminiert. Alle Coaches kennen die sogenannte SMARTe Zielformulierung. Dabei verfolgst Du etwas mit der Idee von einem Return on Invest. Und wehe, wenn es nicht läuft, wie Du es dir vorstellst. Du wirst wahrscheinlich enttäuscht, wütend und sauer sein. Wirst dir Vorwürfe machen. Du stehst ja auch unter einem gewissen Erfolgsdruck. Entweder du machst ihn dir selbst oder deine Umwelt fordert gewisse Ergebnisse von dir.

Nur damit das klar ist, ich habe nichts gegen smarte Ziele. Diese Methode funktioniert sehr gut bei Menschen, die gelernt haben Disziplin aufzubringen. Ebenso ist es auch eine gute Methode um kontinuierlich Disziplin aufzubauen.

Absichtslosigkeit dagegen hat nichts von dem oben Erwähnten. Da gibt es kein Abwägen, kein Quid Pro Quo und keinen Druck. Wenn Du aus Absichtslosigkeit heraus handelst, folgt dein Tun aus einem inneren Impuls, einem inneren Wissen heraus, genau das Richtige in diesem Moment zu tun. Ohne darüber nachzudenken. Da gibt es kein Abwägen, ob das smart ist. Keinen Zweifel.
Da gibt es lediglich eine intuitive Klarheit das Richtige im richtigen Moment zu tun. Das bedeutet, dass Du mit dir im Reinen bist.

Wenn wir rezitieren, dass wir uns absichtslos allen Wesen widmen, nehmen wir Bezug auf den Boddhisattva Avalokiteśvara (sanskrit) oder Kannon (japanisch), die Verkörperung des Mitgefühls.

Mitgefühl ist Ausdruck unserer ureigenen menschlichen Qualität, uns mit allen lebenden Wesen in Verbindung zu fühlen und bedarf keiner Absicht. Und sie ist nicht auf die Menschen als einzig Lebewesen beschränkt.

Wenn wir über Mitgefühl sprechen, sprechen wir über eine Herzensqualität und Kraft, die ständig vorhanden ist. Das Kultivieren dieser Qualität hat für mich damit zu tun, mich selbst nicht mehr so wichtig zu nehmen. Das kann zum Teil ein viel größerer Akt der Selbstfürsorge sein. Höre ich auf, mir ständig Sorgen zu machen, mir mit ängstlichen Gedanken über die Zukunft die Laune zu verderben oder an Dingen aus der Vergangenheit festzuhalten, wird mein Blick, mein Ohr und mein Herz frei und klar für meine Mitwelt und deren Bedürfnissen.

Ich nähere mich auf diese Weise einem Zustand der Leichtigkeit. Aus diesem Zustand heraus handele ich viel authentischer, mir selbst mehr verbunden und vor allem stabiler.

Wenn Du wissen willst, wie Du diesen Zustand erreichst, kannst Du anfangen zu meditieren. Geh auf ein Sesshin oder zu einem Schweigeretreat. Klar ist ein Sesshin kein Sonntagsspaziergang. Morgens um 4:00 Uhr aufstehen und den ganzen Tag bis spät in die Nacht meditieren ist auch voller Absicht und steht im krassen Gegenteil zu dem, was ich hier schreibe. Und trotzdem kommst du so mehr und mehr zur Absichtslosigkeit und zur Leichtigkeit.

Paradox und wahr. Fakt ist, dass je mehr ich in Stille sitze (und das oft mit Schmerzen) ist mein Geist bereinigter, zuversichtlicher und weniger angstvoll. Ich bin viel mehr in Kontakt.
Bin ich in Kontakt, handele ich so, wie es gerade richtig/angemessen ist. Da ist keine Absicht dahinter, nur ein Impuls, dem ich folge. Hätte ich eine Absicht, ein Ziel, wären sofort Gedanken wie: „Habe ich das richtig gemacht?“ – „Was bringt mir das?“ mit der Tat verknüpft. Und schon ist eine Absicht und damit Kopfkino verbunden.

Für das kommende Jahr wünsche ich Dir mehr Absichtslosigkeit damit Authentizität, Leichtigkeit und Klarheit mehr Platz in deinem Leben bekommen.

Danke für Deine Aufmerksamkeit!