Wer denkt, dass Menschen, die Achtsamkeit praktizieren keine Fehler machen, liegt mit dieser Haltung weit daneben. Wer glaubt, dass Achtsamkeit permanente Stille, kompromisslosen Digital-Detox, ständige Bedachtsamkeit oder inneren Frieden ermöglicht, sitzt einer eher naiven Vorstellung auf. Wer achtsame Menschen in die Peace-Love-Happiness-Schublade stecken möchte, versteht hier auch grundsätzlich etwas völlig falsch.
Um es ganz klar zu sagen und ich bin da nicht anders: Ja!!! Achtsamkeitsübende haben Fehler, machen Fehler, und haben durchaus schlimme Gedanken. Zumindest Ich.
Für mich ist Achtsamkeit auch die Fähigkeit sich den eigenen Unzulänglichkeiten zu öffnen und mit ihnen akzeptierend in Beziehung zu treten. Diese Form der Beziehungsgestaltung ermöglicht es mir, diese Unzulänglichkeiten, Fehler oder Schattenseiten anzunehmen und zu transformieren. Was nicht immer leicht ist.
Das ist in erster Linie ein sehr privater Prozess. Im geschützten Setting einer Therapie oder eines MBSR-Kurses kann der Prozess des akzeptierenden Fehlermachens in einer privaten Öffentlichkeit geteilt werden. Dies nennt man Zeugnis ablegen. Wenn ich vor mir selber und anderen Zeugnis ablege und mich dem stelle, wovor ich mich lieber verstecke oder was ich lieber verdränge, geschieht „Heilung“. In diesem Moment bin ich völlig verwundbar. Ich habe meine Schutzmauern, meine Panzerung abgelegt. Ich zeige mich – und zwar ganz. Es erfordert eine Menge Mut sich so zu zeigen.
Mein Wunsch ist es, dies in unserer Gesellschaft als eine Standardeinstellung von Menschlichkeit zu installieren. Bis jetzt muss in unserer Welt alles perfekt, nach Normen ausgerichtet und richtig sein. Und wehe, es weicht von unseren Vorstellungen ab. Die engen Korridore der eigenen und der gesellschaftlichen Ansprüche sind im Alltag oft wirkmächtiger als die intellektuell abgeleiteten und auch auf dem Kissen durch Meditation verankerten Leitbilder unserer Idealwelt.
Wenn irgendetwas unser intrinsisches Wertesystem aus dem Gleichgewicht zu drohen bringt und wir im Autopilotmodus sind, reagieren wir schnell rigide und wenig tolerant. Vor allem uns selbst gegenüber
Auch hier kann uns Achtsamkeit dabei unterstützen, eine akzeptierende und sich selbst verzeihende Haltung zu entwickeln, um diese Mechanismen zu erkennen und zu durchbrechen.