Achtsamkeit und Wellenreiten

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In meiner Praxis als Achtsamkeitscoach und MBSR-Lehrer begegnen mir oft Menschen, die Halt suchen. Das sind keinesfalls nur Menschen, denen durch ein dramatisches Schicksal der Boden unter den Füßen weggerissen wurde und die eine klare Orientierung in ihrem Leben suchen. Gerade in diesen Zeiten erleben auch gefestigte, in sich ruhende Menschen, die mitten im Leben stehen, große Unsicherheiten und Orientierungslosigkeit.
Ihnen allen gemein ist, dass sie nach Stabilität, Beständigkeit, Ruhe und Glück suchen.

Das Leben, wie es sich uns zeigt, stellt uns vor immer größere Herausforderungen. Wir sind mit dem genauen Gegenteil stabiler Zustände, beständiger Umstände und entspannter Ruhe konfrontiert. Infolgedessen sind wir gezwungen ständig Anpassungsleistungen zu vollbringen. Auf emotionaler, intellektuelle, finanzieller und auf sozialer Ebene.
Dabei wollen wir nur unser Stück des Glückskuchens. Mehr verlangen wir (doch) nicht.

Und wir haben klar konturierte Vorstellungen von unserem Stück des Glückskuchens. Wissen metaphorisch sehr genau um den Schokoladenanteil, den Zuckergehalt, die Menge an Mehl und Hefe. Und wehe, das Stück schmeckt nicht nach unseren Erwartungen und Vorstellungen. Dann sind wir enttäuscht und unglücklich. Das, was wir uns wünschten, was unsere Maßstäbe an das Stück Kuchen sind, bleiben unerfüllt.

Mit dem Stück unseres Glückskuchens verhält es sich so, als ob wir Wellenreiten lernen wollen. Im Wasser stehen wir auf dem Surfbrett und suchen Stabilität, Ruhe und Beständigkeit. Aber tatsächlich fallen wir ins Wasser. Wir stehen mit unserem Körper auf dem Board und wollen ganz stabil sein, rammen unsere Füße mit aller Kraft ins Brett. Wir strengen uns total an um Stabilität zu erlangen. Wir glauben, dass wir durch unsere Kraft das Board ruhig halten können. Und natürlich fallen wir vom Board. Bis wir endlich kapieren, dass wir machtlos sind gegen die Kraft der kleinen oder größeren Wellen des Meeres.
Welche Hybris zu denken, wir seien stärker als das Meer.

Die Wellen sind da und sie sind ein Teil des Meeres auf dem das Surfbrett schwimmt. Wenn wir  Ruhe, Stabilität und Beständigkeit und auch das Glück des Wellenreitens erfahren wollen, müssen wir uns dem Meer und seinen Eigenheiten anpassen. Darauf reagieren. Und unser Körper ist ein wunderbares Instrument, was uns dazu befähigt. Unser Gleichgewichtssinn und die anderen Sinne helfen uns, auf die Wellen zu reagieren und die Schwankungen auszugleichen. Wir können unser Gleichgewicht halten und allmählich die Erfahrung von Stabilität und Beständigkeit  und gleichzeitig von Bewegung in die gewünschte Richtung erleben. So werden wir ein Teil des Meeres. Wir sind nicht mehr getrennt und können uns dem Meer und dem Leben voll anvertrauen. Und ja, es ist ein Lernprozess. Das geschieht nicht von jetzt auf gleich. Wir brauchen Geduld, Vertrauen und Zuversicht. Ebenso den Mut immer wieder auf das Brett zu steigen und aus unseren menschlichen Fehlern zu lernen.

Uns mit Güte zu begegnen und einer guten Prise Humor.